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Freitag, 14. November. 2003, 19:30 Uhr
Landesmusikschule Puchenau
Wa(h)l-Kür-en-Quartett und Peter Kurpita, Klavier

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Streichquartett G-Dur, KV 156, komponiert 1772
Presto
Adagio
Tempo di Minuetto
ca. 15'

Dimitri Schostakowitsch (1906 – 1975)
Streichquartett Nr. 8, c-moll, op. 110, komponiert 1960

Largo
Allegro molto
Allegretto
Largo
Largo

ca. 22,5’

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Ernst von Dohnányi (1877 - 1960)
Quintett c-moll, Op. 1 für Klavier, zwei Violinen, Viola und Violoncello, komponiert 1895
Allegro
Scherzo. Allegro vivace
Adagio. quasi andante
Finale. Allegro animato
ca. 33'

oder

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Joseph Haydn (1732 - 1809)
Streichquartett g-moll, Op. 74, Nr. 3, Hob. III: 74
, „Reiter-Quartett“, komponiert 1793
4. Satz: Finale. Allegro con brio

 

Mozarts erste komplette Sechsergruppe von Streichquartetten (KV 155 – 160) entstand im Umkreis seiner zweiten Italienreise (1772/1773) - darauf weisen zwei Briefe Leopold Mozarts hin, in denen er von der Komposition von Streichquartetten nach Salzburg berichtet, ein erster vom 28. Oktober 1772 aus dem „traurigen Bozen“, in dem es heißt, Wolfgang schreibe „eben für die lange Weile ein quattro“, und in einem zweiten vom 6. Februar 1773 aus Mailand. Das zweite Quartett in G-Dur hat Mozart Ende 1772 im Alter von 16 Jahren komponiert.

In memoriam den Opfern von Faschismus und Krieg – Das Streichquartett Nr. 8 op. 110 gehört zu den schönsten Werken der Gattung. Von Schostakowitschs Tochter Galina ist ein Ausspruch des Vaters überliefert, er habe es sich selbst gewidmet. Tatsächlich ist die offizielle Zueignung, „den Opfern von Faschismus und Krieg“, fragwürdig, es sei denn, man bezieht dabei den Stalinterror als Krieg der Staatsmacht gegen die eigenen Bürger ein. Komponiert wurde opus 110 im Sommer 1960, während eines Kuraufenthaltes in Gohrisch bei Dresden. Im Dezember 1959 hatten die Ärzte Schostakowitsch die Diagnose gestellt: unheilbare Entzündung des Rückenmarks. Seine Anwesenheit in Dresden zur Vorbereitung des von ihm musikalisch betreuten Films „Fünf Tage – fünf Nächte“ war nur ein Vorwand. Tatsächlich ging es den kritischen russischen Köpfen schon lange nicht mehr um die Rettung kriegsgefährdeter Kunstschätze, wie in diesem Film erzählt, sondern „um die Rettung der menschlichen Seele“.
Grundlegend für alle Sätze des Quartetts, gestaltgebend vor allem im ersten und letzten, ist ein Viertonmotiv d-es-c-h, die Initialen des Komponistennamens (allerdings nur, wenn man, dem historischen Vorbild BACH folgend, den russischen Namen deutsch schreibt!). Bereits in der 10. Sinfonie von 1953 hatte es Schostakowitsch verwendet. Im 8. Streichquartett aber wird es zum Zentrum des Geschehens.
Der 1. Satz (Largo) präsentiert das musikalische Monogramm und objektiviert es zugleich in der Form eines „Fugato“. Eingeschmolzen darin sind Zitate aus der 1. Sinfonie und der 5. Sinfonie, also aus den für Schostakowitschs individuelle Biographie wie für die Musik des 20. Jahrhunderts wichtigen Werken. Mit der 1. Sinfonie op. 10 wurde 1926 die neue sowjetische Musik über Nacht weltweit bekannt, die 5. Sinfonie op. 47 von 1937 erinnert an jene Zeit des Stalinterrors, da auch Schostakowitsch sich vor der Gewalt beugte und viele Opfer zu beklagen waren. Dem c-moll-Largo folgt mit dem 2. Satz ein gis-moll-Allegro. Alle Sätze gehen übrigens attacca ineinander über. Eine Musik blinder Gewalt. Mit beständigem Sforzato-Fortissimo werden Motivsplitter des 1. Satzes vorwärtsgepeitscht, bis sich das seit 1944 zum Symbol gewordene jüdische Thema aus dem Finalsatz des Klaviertrios op. 67 über dem Bruitismus erhebt. Nach Schostakowitsch „ein Lachen unter Tränen. Jüdische Musik kann fröhlich erscheinen und in Wirklichkeit tief tragisch sein.“
Das g-moll-Allegretto (3. Satz) ist ein Scherzo macabre, ein Walzerrondo über DSCH. Eingesprengt ist das Hauptthema au dem Mstislaw Rostropowitsch gewidmeten Cellokonzert op. 107 von 1959, ein wütender Appell gegen das sinnlose Kreisen. Dem Walzerrondo folgt nun ein „Choralrondo“: das cis-moll-Largo (4. Satz), ein Gang in die Tiefe kollektiver wie individueller Geschichte. Zuerst ist ein Lied sibirischer Zwangsarbeiter aus dem 19. Jahrhundert zitiert: „Im Kerker zu Tode gemartert“ (wörtlich.: „In schwerer Gefangenschaft gequält“). Dann folgt ein Zitat aus der zum Symbol des Stalinterrors gegenüber Künstlern gewordenen Oper „Lady Macbeth“ von Mzensk. Katerina begrüßt den ihr längst untreu gewordenen Geliebten mit einem liebkosenden „Serjoshenka, mein Lieber“. Betrug also nicht nur von Seiten der Täter, sondern auch auf Seiten der Opfer. Die Oper war übrigens 1960 nach wie vor in Sowjetrussland verboten. Seit 1936 „musica non grata“, durfte sie erst 1963 in einer Bearbeitung als „Katerina Ismailowa“ auf die sowjetische Bühne zurückkehren. Das Quartett endet wie es begonnen hat, mit einem Fugato über DSCH (5. Satz), nun aber aufgefächert in den doppelten Schmerzensschritt d-es/c-h.
Dmitri Schostakowitsch war, im Unterschied zu seinen Dissidentenfreunden, dem Cellisten Mstislaw Rostropowitsch und dessen Frau, der Sängerin Galina Wischnewskaja, sowie dem Schriftsteller Alexander Solschenizyn, kein religiöser Mensch. Er vermochte seine Seele nicht durch Transzendierung des menschlichen Lebenssinns zu retten. Als er das 1969 in seiner der Allmacht des Todes huldigenden 14. Sinfonie zum Ausdruck brachte, konnte das der tief religiöse Christ Alexander Solschenizyn nicht akzeptieren, und das Verhältnis zwischen dem Komponisten und seinen Freunden trübte sich.
Gleichwohl ist das 8. Streichquartett ein Versuch der Seelenrettung und zwar durch Spurensicherung, durch Schostakowitschs Sorge um das Weiterleben seiner Musik. Vergessenwerden war für ihn gleichbedeutend mit Tod.

Ernst von Dohnányi führte ein geschäftiges Leben als Konzertpianist, Dirigent, Verwalter, Lehrer und Komponist, und trotz der Wahl der deutschen Schreibweise seines Vornamens (er  wurde  auf den Namen Ernö getauft) war er einer der führenden ungarischen Künstler seiner Generation, zu der auch Bartók, Kodály und Weiner zählten, die ebenfalls der Musik ihrer Heimat eine nationalspezifische Identität geben wollten.
Dohnányis Neigung zu dieser Richtung zeigte sich erstmals in seiner Entscheidung, an die Budapester Musikakademie zu gehen, obwohl man ihm einen Studienplatz am ungleich angeseheneren Wiener Konservatorium angeboten hatte; er drängte seinen um vier Jahre jüngeren Schulfreund Béla Bartók zu dem gleichen Schritt. Trotz seiner Bedeutung als Interpret und Dirigent zeitgenössischer ungarischer Musik (er stellte der Welt viele Werke von Bartók und Kodály vor) und ungeachtet des ungarischen Gepräges seiner Tonsprache ist Dohnányis eigene Musik unverkennbar in der österreichisch-deutschen Tradition verwurzelt. Er übernahm das kosmopolitische Erbe Franz Liszts (dessen „ungarische“ Kompositionen genau genommen von der Musik der Zigeuner, nicht der Magyaren, angeregt worden war, wie Bartók so gerne betonte), und um die Jahrhundertwende galt er tatsächlich als der größte ungarische Komponist und Klaviervirtuose seit Liszt. Seine 47 veröffentlichten Werke reichten von der Klavierminiatur bis hin zur Oper, wobei seine besten Arbeiten sich (trotz der großen Popularität seiner „Variationen über ein Kinderlied“) im Genre der Kammermusik finden.
Dohnányi schrieb etwa 70 Jugendwerke, bevor er sich sicher genug fühlte, eine Komposition als sein offizielles Opus 1 zu veröffentlichen, das Klavierquintett in c-moll. Es entstand 1895, in seinem zweiten Studienjahr an der Budapester Akademie und fiel noch im selben Jahr Brahms auf, der sich so beeindruckt zeigte, dass er selbst die Wiener Uraufführung veranstaltete, mit dem Komponisten am Klavier, wie später auch bei der Budapester Premiere.
Der erste der vier Sätze ist ein marschähnliches Allegro mit zwei kontrastierenden Themen, das erste kraftvoll und athletisch, das zweite „dolce“ gespielt.
Das Scherzo (a-moll) zeigt Brahms’ Einfluss in dem willkürlichen Spiel des Grundtakts (3/4); während das Adagio (F-Dur) für einen erst 17Jährigen Komponisten eine erstaunliche kontrapunktische Souveränität aufweist. Das Finale umfasst alle diese Aspekte; das grelle Thema (5/4) und die sehnsüchtige Cellomelodie umrahmen ein strenges  Fugato, und das Werk schließ in majestätischem C-Dur.

Das g-Moll von Haydns "Reiter-Quartett"  ist eine ernste Tonart, aber es ist weder das phantastisch-exzentrische g-Moll des op. 20 noch gar das dämonische g-Moll Mozarts - beide Ecksätze enden in G-Dur, und das Menuett steht ganz in dieser Tonart.
Der Kopfsatz beginnt mit einem kräftigen, durch seine kurzen Vorschläge charakterisierten Unisono, das - zusammen mit dem jagenden Rhythmus des Finale-Hauptthemas - dem Werk seinen Beinamen „Reiterquartett“ eingebracht hat. Entfernt erinnert dieser Anfang an die Einleitung des F-Dur-Quartetts, und tatsächlich hat er auch die Funktion einer solchen, was sich daran zeigt, dass die Reprise nicht mit ihm, sondern dem folgenden Motiv einsetzt; andererseits wird er in der Durchführung thematisch verarbeitet. Den Kern des ungewöhnlich vielgestal-tigen oder besser: vielmotivigen Hauptthemas bilden aber die anschließenden Vorhaltsmotive und Triolenketten; besonders die letzteren werden breit entwickelt und begleiten auch den freundlichen B-Dur-Seitensatz, der erst ganz am Ende der Exposition auftritt. Die Durchführung, nur gut halb so lang wie die Exposition, verarbeitet eher diskursiv-ausbreitend als zuspitzend oder kontrastierend erst Kopfmotiv und Triolenmotiv gemeinsam, dann kurz den Seitensatz und die Vorhaltsmotive des Hauptthemas. Die Reprise bringt, nach ziemlich (für den späten Haydn ungewöhnlich) regelmäßigem Beginn die eigentliche Pointe, auf die der ganze Satz zusteuert: den Seitensatz (und als seine Begleitung auch das Triolenrnotiv des Hauptsatzes) in freundlichem G-Dur.
Das Largo ist einer der großen, feierlich-pathetischen Largo-Sätze des späten Haydn, die aus einem ganz knappen, oft gestisch zugespitzten Motiv (hier dem Motiv der beiden ersten Takte) einen wahren Kosmos rnelodischer und, immer mehr hervortretend, harmonischer Einfälle entwickeln, mit einer Ruhe, die diesen Sätzen etwas von einem meditativen Selbstgespräch gibt. Besonders deutlich wird das in den subtilen Abstufungen zwischen der Verhaltenheit des Hauptteits, der melodisch aus einer freien Urnkehrung seines Themas entwickelt wird, und der Rückkehr der ruhigen Bewegung des Haupt- teils in dessen Wiederholung, belebt von zarten Figurationen in der 1. Violine, und in der pianissimo verklingenden Coda. Fast robust wirkt danach das erstaunlich einfache und tanznahe G-Dur-Menuett, von dem sich das melodisch, periodisch und harmonisch unruhige g-Moll-Trio sehr ernst abhebt.
Das Finale hat nichts vom traditionellen Finale-Tonfall, ist vielmehr ein 2themiger Sonatensatz, der genau analog zum Kopfsatz gebaut ist - ein in Haydns großer lnstrumentalmusik fast einzigartiges Experiment „symmetrischer“ zyklischer Formbildung. Die Reprise verstärkt dann die Pointe der Reprise im 1. Satz, indem sie schon nach den ersten 12 Takten mit dem Seitensatz in G-Dur einsetzt, eine Wendung, die den ohnehin freundlichen Ton dieses Seitensatzes schon durch die pointierte Gegenüberstellung mit dem Hauptthema enorm steigert. In die spielerisch-entspannte Ausbreitung in G-Dur-Stimmung werden ganz am Ende dann auch - als letzte Pointe des Satzes und letzte Steigerung gegenüber dem Kopfsatz - wenigstens einige Motive des Hauptthemas einbezogen.